An dieser Stelle zunächst ein Einblick in eine spezifisch männliche Problematik, bevor ich noch weitere Probleme der Miktion (unbekannter Fachterminus fürs Wasserlassen) beschreibe.
Neulich war ich im Volkshaus zum Kabarett (Georg Schramm). Kurz vor Ende der Pause wollte ich noch auf Toilette. Die Pissoirs waren fast alle besetzt, lediglich einige zwischendrin waren frei. Einige Männer vor mir erkannten die Situation, winkten ab und gingen unverrrichteter Dinge wieder hinaus. Auch ich wartete bis es ein wenig leerer geworden war, bevor ich auf Toilette ging. Das hier beschriebene Problem nennt sich Paruresis und es betrifft viel mehr Männer, als ich gedacht hätte. Es ist die Unfähigkeit, Wasser zu lassen, wenn jemand neben einem steht. Das klingt lächerlich, ist aber unschön. Man erkennt es am Verhalten der Männer, die an die Pissoirs kommen. Man stelle sich fünf Pissoirs vor: Am zweiten und am vierten steht bereits jemand. Daran erkennt man zunächst, dass es sich gehört, wenigstens ein Pissoir Abstand zu halten. Die meisten Männer machen das automatisch. Wo aber postiert sich der dritte? Sicherlich außen, aber noch eher wird er eine Kabine vorziehen.
Mit einem Freund habe ich mal darüber gerätselt, wo dieses Phänomen herkomme. Wir kamen immerhin soweit, dass es eine Self-Fulfilling-Prophecy sei, bei der allein der plötzliche Gedanke “nicht zu können”, dazu führt, dass man nicht pinkeln kann. (Ein anderes Beispiel: In Finnland vergaß ich die Geheimnummer meiner EC-Karte justament nachdem ich die Angst gehabt hatte, dass ich sie vergessen könnte.)
Aber es kann auch andere Situationen geben, die die Miktion hemmen. Vor langer Zeit habe ich eine Bootsreise auf der Elbe mit dem Boot eines Freundes unternommen. Es war klein und hatte keine Toilette. Da nur Männer dabei waren, war es üblich von der Reling zu schiffen. Das kostete mich schon starke Überwindung: Zwei Meter über dem Wasser auf einem wackligen Boot stehend und vom Ufer aus wunderbar einsehbar. Ein mitgereister Freund konnte das überhaupt nicht. Er ging deshalb anderthalb Tage lang nicht auf Toilette. Ich glaube ihn, er hat nachts in eine leere Flasche gepinkelt, aber ich habe ihn nicht dazu befragt.
Frauen haben solche Probleme nicht, dafür, so wie ich manchmal erfuhr, andere Probleme. Eine Freundin aus meiner Schulzeit, ging niemals auf eine öffentliche Toilette. Sie ging nur bei sich zu Hause. Ich glaube, es war wegen der Sauberkeit. Dieses Grundproblem haben wohl viele Frauen – auch weil sie eigentlich auf das Sitzen angewiesen sind. Es ist deshalb für viele Frauen absolut unüblich, sich auf öffentlichen Toiletten hinzusetzen. Sie schweben stattdessen berührungslos über dem potentiellen Keimherd.
Nebenbei bemerkt, ist die sitzende Position auch nicht die ideale Position zum Wasserlassen. Sie hat sich historisch durchgesetzt, auch wenn ergonomisch bewiesen wurde, dass die Halbhocke die bessere Position sei. In ihrer Dissertation zum Thema “Toiletten und Urinale für Männer und Frauen” führt Bettina Möllring das sehr schön aus. Sie erklärt, wie sich das Sitzklo durchsetzen konnte, während im öffentlichen Raum noch das Pissoir zumindest für Männer Usus ist. Genauso gut könnte man sich ein Pissoir ins Bad hängen, das macht aber merkwürdigerweise keiner. Schön ist auch zu erfahren, das beispielsweise Marcel Duchamp und Le Corbusier eigene Toiletten gestaltet hatten. Außerdem erinnert sie an die “Urinella”, ein Trichter, der auch Frauen ermöglicht im Stehen zu pinkeln. Zusätzlich sollte die Oberfläche der Urinella als Werbefläche angeboten werden (Das Motto: “So nah dran ist sonst keiner.”)
Insgesamt beweist sie damit, dass die Kulturgeschichte der Toilette auch unsere häusliche, unsere zivilisatorische Entwicklung widerspiegelt.