Ein sehr interessanter Text in der Süddeutschen über das heutige Theater. Ich wusste nicht, dass das Jenaer Theater nur ein Spiegelbild der Gesamttheaterentwicklung ist. Ich dachte immer, irgendwo anders wird es schon noch echtes Theater geben: Mit Gefühl und Wirkung, beeindruckend und schonungslos nur im Schauspiel. Aber das ist eine Illusion.
Der schwitzende, nackte Körper soll dem Zuschauer beweisen, dass ihm hier nichts “vorgemacht” wird wie im bösen Hollywood-Kino, das uns alle verführt und verdirbt. In der Gastronomie gibt es einen Fachbegriff dafür: Front-Cooking. Wenn die Köche in der offenen Küche wirbeln, ist ihre Performance nicht nur Ausdruck eines erweiterten Begriffs von Bewirtung, sondern sie suggeriert, dass Mikrowelle und Gammelfleisch keine Chance haben. So ist es auch im Theater. Man meint, dem Schauspieler beim ökologisch korrekten Verfertigen seiner Figur zuschauen zu dürfen. Wer hier Zeuge sein will, darf nicht wegschauen bei den menschlichsten und unmenschlichsten Verrichtungen: Gerade diese Momente verleihen dem Theaterabend die Patina von Authentizität. Stuhlgang und Blutsturz – sie sind so etwas wie der kunstvoll gebohrte Wurmstich, der das fabrikneue Stilmöbel echt antik aussehen lässt.
Doch die Erklärung für diese Spiel-Unlust, diese Spiel-Angst kann der Text nicht liefern. Es ist in meinen Augen abstrus, diese Entwicklung auf die Angst vor der Manipulierbarkeit des Menschen zurückzuführen und zu vermuten, dass die aktuelle Entwicklung noch immer dem “Mann mit dem gestutzten Oberlippenbart” geschuldet sei. Das klingt wie eine kunstvolle Ausrede. Auch wenn er die Krise des Theaters nicht begründen kann, ist der Text doch eine fundierte Zustandsbeschreibung.
Warum müssen Klassiker immer noch “gegen den Strich” gelesen werden, da man deren Kenntnis doch ohnehin kaum noch voraussetzen kann? Und was soll das heißen, Stücke zu “entstauben”? Hat es Anton Tschechow nötig, von einem geistig zwölfjährigen Regisseur belehrt zu werden, der nichts gelernt und nichts gelesen hat? Müssen wir dabei sein, wenn graumähnige Intendanten wieder zu Jünglingen werden, wenn ihre “Fohlen” in der Theater-Lounge “Romeo und Julia” “housig” rüberkommen lassen. Und was trat eigentlich an die Stelle dessen, was aufgegeben wurde, als man das Geschichtenerzählen denen überließ, die sich verkaufen müssen?
Ganz einfach: Es trat an diese Stelle das Merken und Meinen, das Bescheidwissen, das Schlagwortkennen, der Hype und das Checkertum. Das Multitasking und die Verlängerung der “Skills”, die das Erwerbsleben bestimmen, in den Feierabend hinein. Ist Selbstvergewisserung so viel besser als ein bisschen Fremdheit und Ambivalenz? Als Figurenentwicklung und dramatisches Leben? Warum muss die Phantasie des Zuschauers permanent entmündigt werden durch die fixen Ideen der Regie?
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