Es ist ein merkwürdiges Gefühl, wenn sich Selbstverständlichkeiten auflösen. Vorgestern fuhr ich mit dem Fahrrad zum Campus, stellte es dort ab, dann fiel mir ein, dass ich was vergessen hatte und wollte, zehn Sekunden nachdem ich mein Fahrrad dort abgestellt hatte, noch einmal losfahren (die Situation ist also tiefster Alltag). Allerdings hatte in dieser kurzen Zeit mein Fahrradschloss beschlossen, nicht mehr an meinem Alltag teilzunehmen. Der Schlüssel ließ sich nicht mehr drehen. Möglicherweise hatte sich mein Fahrrad gerade auch auf eine kleine Pause eingestellt und wäre auch wieder gefahren, wenn ich zu einem Zeitpunkt wiedergekommen wäre, auf den es sich hätte einstellen können. Das würde allerdings bedeuten, dass es meinem Fahrrad keinen Spaß macht, von mir geritten zu werden. Ein Gedanke, den ich selbstverständlicherweise weit von mir weise. (Von “reiten” kann man hier sprechen, da ich dummerweise einen riesigen Damensattel bei Ebay erstanden habe, weil ich dachte “was von Tchibo kommt, kann nicht schlecht sein”. Dass TCM verständlicherweise für Frauen produziert, vergaß ich.)
Nun hatte sich allerdings vom Grunde des Alltags eine unhinterfragte Selbstverständlichkeit gelöst. Sie war aus den Untiefen des Alltagsmeeres ans Licht gestiegen. Erst in diesem Moment merkt man, wie voraussetzungsvoll der Untergrund doch ist, über den man jeden Tag mit seinem kleinen Boot schippert.
Noch eindeutiger wird man dieses Gefühl bei Krankheiten haben. Wenn der Körper urplötzlich nicht mehr funktioniert, wenn eine Bewegung, die man sonst tagtäglich macht, nicht mehr möglich ist, weil sie Schmerzen bereitet.
Und dann passiert es: Man wird plötzlich dankbar für die Kleinigkeiten des Alltags. Als mein Schloss plötzlich wieder funktionierte (zugegebenermaßen, nachdem ich es geölt hatte), war es ein wunderbares Gefühl, weil ich es nicht mehr erwarten durfte, weil ich nun wusste, dass es nicht selbstverständlich ist.
Allerdings kann dieses Gefühl nicht lange anhalten. Ein, zwei Tage verharrt das früher Allgemeine im Schwebezustand des Besonderen, bevor es wieder normal wird.
Wollte man das Gefühl der Dankbarkeit für das Kleine bewahren, müsste man im Grunde eine Alldankbarkeit (mögliches Fremdwort: Pancharistie) entwickeln. Allerdings wüsste man dann nicht, wofür man alles dankbar sein sollte. Man könnte beispielsweise nach jeder Straßenüberquerung dafür dankbar sein, nicht überfahren worden zu sein. Besser ist es daher wohl, wenn die Kleinigkeiten des Alltags in der eben beschriebenen Form im Wechselspiel auf sich aufmerksam machen und Dankbarkeit für sich einfordern.
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