Wenn die Medien über ein Thema berichten und täglich neue Fälle auftauchen, scheint es oft so als sei das Phänomen neu und gerade jetzt sehr akut. In den meisten Fällen besteht es doch bereits sehr lange und nicht selten sinken die eigentlichen Zahlen des Phänomens seit Jahren. So ähnlich ist es auch bei Kindstötungen.
Nicht dass es nicht wichtig wäre, auf diese schrecklichen Fälle aufmerksam zu machen und ein Bewusstsein dafür zu schaffen. Es wird allerdings eine schwierige Gratwanderung zwischen einer zu recht aufmerksamen Umwelt, in der sich nicht jeder nur um sich selbst sorgt, und einer zu aufmerksamen Umwelt, die bereits eine Misshandlung vermutet, wenn ein Kind eine Stunde lang schreit (was nicht ungewöhnlich sein muss).
Unicef hat vor vier Jahren das Phänomen Kindestötungen in den industrialiserten Ländern untersucht. Die Studie findet man entweder hier. Die Studie stellt zunächst fest, dass die Zahlen nur schwer zu erheben sind, da die Grenzen zwischen Unfall und Mord fließend sind. In Deutschland sterben jede Woche zwei Kinder an Misshandlung, in Frankreich drei, in den USA 27. Im Vergleich zwischen den Ländern ergab sich, dass die Rate an Kindstötungen besonders in Ländern höher ist, in der auch die allgemeine Mordrate sehr hoch ist (Mexiko, USA). Laut Studien aus den einzelnen Ländern kommen auf jeden Kindstod bis zu 1000 misshandelte Kinder.
Die Gründe dafür sind laut Studie: Drogen und Alkohol (besonders in den USA ein großes Problem), Gewalt in der Familie (besonders häufig misshandeln Männer Kinder, die auch ihre Frauen misshandeln) und der vielleicht wichtigste Grund, der mit den beiden anderen Gründen einher- ihnen in vielen Fällen sogar vorausgeht: Armut. Daher ist einer der wichtigsten Vorschläge zur Prävention auch „Armutsbekämpfung“. (Wie wäre es beispielsweise mit einer Anhebung der Hartz-4-Sätze an die reale Preisentwicklung?) Ein anderer Vorschlag ist dem Einsatz von Sozialarbeitern und Mitarbeitern der Jugendhilfe einen größeren Stellenwert einzuräumen. Genausowichtig ist jedoch das Problembewusstsein zu erweitern, besonders über den großen Anteil an Gewalt, dem Kinder alltäglich ausgesetzt sind: „Die Aufmerksamkeit darf nicht bei den schockierenden Extremfällen stehen bleiben.“
Illustration: Le Petit Journal, May 24, 1908
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