Der neue Indiana-Jones-Film hat zwei große Schwächen, die mittlerweile wohl als typisch für das Action-Kino der Gegenwart zu bezeichnen sind.

Die fehlende Körperlichkeit

In einem Essay über den Film „Speed Racer“ verschriftlichte Tobias Kniebe das latente Unbehagen mit den Actionfilmen der Gegenwart sehr deutlich: Der Körper des Helden verliert seine Bedeutung, der Held wird unverwundbar und damit fast unsterblich. Das ist wesentlich eine Frage der Fiktionalität des Ganzen. Sicherlich kann man sich Action-Filme als absolute Fiktion erklären, doch dann verlieren sie zu großen Teilen ihre Spannung. Diese resultierte ursprünglich daraus, dass die Filme mit einem Bein in der Realität, all den Gesetzen der Physik und der Verwundbarkeit des Körpers gehorchend, und mit dem anderen Bein in der Fiktion, mit ihren schier unglaublichen Wendungen und all den fantasievollen Übertreibungen, stehen. Diese Position des Actionfilms wird zunehmend in Richtung der Fiktion aufgegeben. So entstehen endlose Action-Sequenzen, zu denen der Zuschauer fast keinen Kontakt mehr hat, weil das Standbein in der Realität sein Zugang zum Film war – das was ihn die Fiktion mit bewundernden Augen verfolgen und ihn von der Übersteigung seines eigenen kleinen Alltags träumen ließ. Das war es, was Action ausmachte: Die Portion Fiktion, die über den Alltag gelegt wurde.

Der neue Indiana-Jones-Film tappt in diese Falle: Indiana Jones ist in diesem Film kein Mensch mehr, er besitzt keinen physisch verwundbaren Körper. Daher können bombastische Szenen aneinandergereiht und in einem endlosen Showdown alle Gesetze der Physik und des Körpers aufgegeben werden – es wird kein Luftholen mehr zugelassen, der Zuschauer wird überschüttet mit Gefahren, mit Prügeleien, mit Explosionen, mit Kugelhageln, mit drohenden Abgründen. Es scheint, dass sich hier der Regisseur mehr von seinen endlosen computeranimierten Möglichkeiten hat leiten lassen, als die Sequenzen inhaltlich (!) mit Spannung auszustatten. Spannung entsteht nicht automatisch durch ein Aneinanderreihen von Höhepunkten, sondern auch dadurch, dass man Action- und Ruhe-Momente kombiniert und dadurch, dass man Gefahren illustriert und nicht davon ausgeht, dass die Zuschauer beim Anblick eines Wasserfalls um die Gefahr des Hinabstürzens wissen. Das Geschehen lässt den Zuschauer dann auch merkwürdig kalt, wenn er beispielsweise sieht, wie die Helden drei (!) Wasserfälle hintereinander hinabstürzen und ohne Blessuren immer wieder ins Fahrzeug zurückklettern oder wenn das Fahrzeug an den Rand einer Schlucht gedrängt wird. Die gefährlichen Situationen bedeuten nichts mehr, sie sind nur Darstellung der Gefahr, ohne dass sie für den Zuschauer irgendwie greifbar oder nachvollziehbar wären.

Diese allgemeine Tendenz ist wohl dem Einsatz der Computertechnik geschuldet. Als die Tricktechnik noch nicht alles darstellen konnte, wurde wesentlich mehr Zeit in den Aufbau der Spannung investiert. Nun übernimmt die Vorstellung, die Zuschauer allein durch modernste visuelle Effekte zum Staunen zu bringen, ihnen etwas zu zeigen, was sie zuvor noch nie gesehen haben, den wichtigsten Platz im Spannungs-Repertoire der Regisseure. Der menschliche Körper konnte jedoch mit der immer perfekteren Darstellung der Gefahr nicht mithalten. Er bleibt weiterhin verletzlich und zerbrechlich, solange man keinen Superhelden schafft. Um also die neuen Effekte nutzen zu können, musste der Körper quasi imprägniert werden: Er musste als das schwächste Glied in der Kette der modernen Möglichkeiten ausgeschaltet werden.

Diese Entwicklung lässt sich sehr deutlich an der Stirb-Langsam-Reihe zeigen: Man vergleiche nur den ersten und den vierten Teil miteinander. Im ersten Teil wird John McClane körperlich immer weiter zu grunde gerichtet, es wird die Zerstörung des Körpers gezeigt. Besonders deutlich, als er durch Glasscherben fliehen muss und danach nur noch humpeln kann. Im letzten Teil gibt es solche körperlichen Szenen kaum noch. Er ist nur noch eine Aneinanderreihung von theoretisch körperlich anstrengenden Sequenzen, ohne das der Schmerz oder die Bedeutung für den Körper je gezeigt werden würde.

Die unausgegorene Figurenkonstellation

Anhand der Indiana-Jones-Filme kann man sehr gut zeigen, wie wichtig die Figurenkonstellation ist. Es gibt zwei Ebenen der Figuren: Die Verbündeten und die Feinde. Beide Ebenen sind für die Spannung des Films wesentlich. Auf der Ebene der Verbündeten muss ausreichend Gegensatz, ausreichend Polarität vorhanden sein, um das ganze mit Leben und häufig auch Komik zu füllen. Die Charaktere müssen ausreichend entwickelt sein, man muss ihre Eigenschaften, ihre Besonderheiten erkennen können. Das funktionierte beispielsweise im zweiten Teil von Indiana Jones überhaupt nicht: Ein nerviges kleines Kind wurde dort als Verbündeter eingesetzt und eine ebenso nervige Sängerin. Kein auf irgendeinem Gebiet annähernd ebenbürtiger Partner. Ein Paradebeispiel für eine interessante Konstellation, in der sich die Partner auf verschiedenen Ebenen gleichwertig gegenüber stehen, ist “Stirb Langsam 4″, der junge Hacker und der alternde John McClane. Oder der dritte Teil von Indiana Jones, in dem der Vater als der Lehnstuhlforscher par excellence in wunderbarem Gegensatz zum eher praktisch veranlagten Sohn steht.

Im vierten Teil wird die Grundkonstellation nicht schlecht aufgebaut: Ein junger Rockabilly gegen einen alternden Indiana Jones. Einige interessante Dialoge entspinnen sich dann auch mit dessen Mutter, der großen Liebe von Indiana Jones. Allerdings wird diese interessante Konstellation am Ende der oben beschriebenen Actionwut geopfert – alle möglichen Pointen und Spannungen gehen darin unter und die Figuren verblassen extrem.

Der zweite Aspekt der Figurenkostellation wurde im vierten Teil extrem vernachlässigt. Ein guter Feind ist in einem Action-Film hauptsächlich durch Ebenbürtigkeit oder meist sogar duch Übermacht gekennzeichnet. Auf irgendeinem Gebiet muss der Feind auch Fähigkeiten haben, die dem Helden Angst machen können. Ein besonders begabter Kämpfer taugt als hauptsächlicher Feind nicht, er hat nur die körperlichen Fähigkeiten. Ein interessanter Feind wird nicht persönlich in den Kampf eingreifen, er hat Handlanger, die dies für ihn tun. Klassisch wird das in James-Bond-Filmen vorgeführt: Dort gibt es den Oberbösewicht, das Gehirn im Hintergrund, der meist noch einen Schritt voraus ist, und Beißer, mit dem sich James Bond wunderbar prügeln kann. Der Held muss sich bis nach oben durchkämpfen – bis es dann am Ende zur endgültigen Konfrontation mit dem obersten Feind kommt. Natürlich gilt solch eine Kampf-Hierarchie nur eingeschränkt für Indiana-Jones-Filme, da dort der Gegner auch immer vor Ort sein muss. Im ersten Teil gelingt jedoch die Feindes-Konstellation jedoch weitaus besser, indem ein ewig lachender Konkurrent eingeführt wird: der französische Archäologe Belloq.

So etwas konnte sich der neue Indiana-Jones-Film nicht leisten. Cate Blanchett als Böse ist harmlos, sie ist Indiana Jones in nichts ebenbürtig, sie ist ihm niemals einen Schritt voraus und ihre russischen Gefährten werden nur als tumbe Marionetten dargestellt. Indiana Jones ist diesem Gegner von Anfang an überlegen, nur durch Glück und ihre schiere munitionsgeladene Masse können sie ihm jeweils gefährlich werden. Die Drehbuchschreiber hatten vielleicht Angst, dass sie etwas von der Allmacht des Indiana Jones gefährden könnten, wenn sie ihm jemand ebenso Mächtiges gegenüber stellen. So wird der Film nur durch die Figur des Indiana Jones beherrscht.

Fazit

Das sind die großen Schwachpunkte des neuen Films: Es fehlt zum einen an einem interessanten Gegner und zum anderen wird die an sich interressante Figurenkonstellation nicht ausgebaut. Sie wird dem Glauben an die Beeindruckung durch das computertechnisch Machbare geopfert. So gibt der Film sein Standbein in der Realität und damit die für Zuschauer enorm wichtige Illusion auf, dass eine Indiana-Jones-Welt hinter dem Alltag existieren könnte. Als pure unvermittelte Fiktion verliert Indiana Jones seinen Reiz und seine Spannung.

Foto: IMDB