Es gibt zwei Menschentypen, die ich in Gesprächen nicht mag: Die Optimismus- und die Klarheitsjunkies.
Der erste Typus leugnet die negativen Seiten des Lebens, all die dunklen Gedanken und Gefühle. Für ihn ist es wichtig, dass man positiv voran schaut, denn jede Krise ist ja auch eine Chance. Die Krise wird daher nicht in ihrem jetzigen Status als Gegenwart gesehen, sondern immer schon aus einer positiv verlaufenen Zukunft heraus beurteilt. Dieser Typus basiert meinen Erfahrungen nach entweder auf einer schrecklichen Kindheit, aus der es nur den Ausweg des Positivübermalens gab – das Kind spielt dann den Sonnenschein der Familie, oder es bekommt diesen Blickwinkel von Eltern eingebläut, die genau das in ihrer harten Kindheit lernen mussten. Oft ist es ja so, dass man die Kröten, die man schlucken musste, anderen als Leibgericht oder Delikatesse präsentiert (oder etwas abgeschwächter: zumindest als Pflichtmahlzeit auf dem Weg zum sogenannten Erwachsenwerden).
Während dieser Typus all die dunklen, düsteren Farben des Lebens nicht wahrhaben will, überall ist doch leuchtendes Sonnengelb und freundliches Hellblau, leugnet der zweite Typus all die verschiedenen Farbmischungen, all die Mischtöne. Er will Klarheit, es darf keine Uneindeutigkeiten geben. Die Dinge sind entweder schwarz oder weiss, beides gleichzeitig können sie nicht sein. Jegliche Unentschlossenheit, die, das sei nur nebenbei bemerkt, ursprünglich aus dem Erkennen der vielseitigen Mischungen des Lebens entsteht, lehnt er ab. Wenn er so etwas beim anderen wahrnimmt, erklärt er schonmal gerne die Welt, wie sie sich nämlich wirklich aufteilt: in rote und grüne Menschen, in gelbe und blaue Gefühle, etc… und gibt dann letzten Endes noch den ultimativen Ratschlag, was nun eindeutig getan werden muss. Dieser Typus basiert auf der Erfahrung von Ambivalenz bei nahen und wichtigen Personen. Dadurch wurden die Grundfeste der Beziehung so erschüttert, dass es nicht mehr klar war, ob man angenommen oder geliebt wurde. So wurde die Ambivalenz zu einer existentiellen Bedrohung, und kann nicht mehr als ein natürlicher Teil des menschlichen Miteinanders betrachtet werden.
Beide beschriebenen Typen gehören zu den „Wertern des Lebens“, denen ich ursprünglich mal einen eigenen Blogeintrag widmen wollte. Die Werter stufen das Verhalten der Anderen sehr schnell als gut oder schlecht, als normal oder verrückt ein. Über den Unterhaltungen mit ihnen hängt meist ihr Urteil als bedrohliches Damoklesschwert und man weiß nie, wann es fallen wird, wann man wieder einmal zu negativ oder zu unentschlossen ist. Das sind Menschen, mit denen ich nur schwer zurecht komme, weil sie zum einen die Vielfalt des Lebens und besonders der Gefühle nicht zulassen und zum anderen weil sie die Geschichte, die sie dorthin geführt hat, als blinden Fleck bewahren und schützen wollen. Das Wissen darum würde ja ihre Position schwächen und deren Relativität erkennen lassen.
Nun ja, bei aller Relativität und Neutralität braucht oder zumindest hat der Mensch gewisse Standpunkte und Überzeugungen. Davon können wir uns leider (glücklicherweise?) nicht lossagen. Wie oft sieht man sich in einen Film geraten, wo man sich auf eine (verquere?) Art und Weise verhält und gleichzeitig (im Idealfall) die Wider- und Unsinnigkeit des Verhaltens bemerkt. Es ist nicht nur schwierig sich nicht wertend zu verhalten. Ich meine, selbst dein wert-kritisierender Blogeintrag lässt sich wertend lesen. Zwischen Beschreibung und Wertung ist (sprachlich) mitunter wohl nur sehr schwer zu trennen, oft genug auch im eigenen Leben.
Gibt ja so’n Spruch, angeblich von Goethe: „Warum entspannen wir uns in der Natur so gut? Weil sie uns nicht bewertet!“
Sich als Mensch von seinen Mustern und Bewertungen zu trennen… schwierig. Nicht unmöglich, aber je näher man die „wunden Punkte“ einen Einzelnen kommt, desto eher kriegt man in ihn einen „Blindmodus“. Geht mir so (wenngleich ich mittlerweile ziemlich gut neutrale Perspektiven einnehmen, halten und mit vielem leben kann.) und anderen mit Sicherheit genauso. Wenn du weißt, wo der Schalter ist und wie du ihn umlegst, kriegst du Ratzfatz affektierte bis unkontrollierte Reaktionen. Und dagegen „anzugehen“ ist – zumindest mir – nur bedingt möglich, je nach Ausmaß des „Übermannens“. Wenn ich in gewisse Situationen gerate, ist – aufgrund gewollt oder ungewollt gelernter Verhaltensweisen/Überzeugungen – „nichts mehr zu retten“. Totaler Disable. Ich weiß warum, je nach Disable kann ich das in der Situation kommunizieren und entschärfen, aber das behebt diese „Dysfunktion“ nicht…
Hmm, war der Beitrag jetzt auch schon zu wertend?
Schönes Zitat von wem auch immer. Ich weiß ja auch, dass es kaum ohne Wertung geht. Man weiß ja manchmal gar nicht, mit welch lapidaren Aussagen man schon wertet. Auch der Beitrag über das Werten wertet.
Und zu den blinden Flecken: Der ganze Beitrag ist ja ein einziger blinder Fleck. Ich bastele mir aus meinen beiden Ängsten, nämlich als Miesepeter oder als Herumlavierer betrachtet zu werden, zwei Menschengruppen, die ich als unpassend und falsch abwerte, nur um dann selbst als richtig im Leben dazustehen. Ich glaube aber dennoch (trotz der ursprünglichen Selbstbezogenheit), dass es diese beiden Typen gibt und es schöner ist, mit entspannteren Menschen zu verkehren.
Schwierig ist ja zudem, dass eine Wertung manchmal auch eine Hilfestellung oder ein Ratschlag sein soll. Wenn man beispielsweise sieht, dass sich jemand in einer Situation verrannt hat, ihm dann zu helfen, ohne sein Verhalten abzuwerten, ist eine schwierige Gratwanderung.
Das sehe ich genauso. Sowohl das eigene Positionieren durch Abgrenzen, als auch das „besser sehen“ durch a) Aufwertung der eigenen Position und/oder b) Abwertung der anderen. Mit dem Unterschied, dass „unsereins“ (ich zähle mich einfach mal dazu ;)) im Hintergrund ob dieser Prinzipien weiß und sie reflektieren kann, während die „knallharten Bewerter“ diese Differenzierung eben nicht vornehmen können/wollen, würde es ihr Weltbild, ihre „Bedeutsamkeit“, ihre Existenz bedrohen und gefährden.
Ein wichtiger Punkt ist auch hier wieder „die Balance“. Eben nicht nur Miesepeter oder Ponyhof (/Gutmensch) zu sein, sondern beide Anteile in sich zu vereinen. Die Welt weder durch die schwarze, noch durch die rosa Brille zu sehen, sondern… naja, ich kann ja nicht sagen „So wie sie ist.“, aber eben beide Aspekte berücksichtigend. Das ist einfacher gesagt als getan, ich „arbeite“ seit Jahren dran (bzw. entwickel mich halt mal mehr, mal weniger weiter), aber… nun ja: Lebensaufgabe oder Akzeptanz und Nischensuche. Wobei letzteres bei uns (I do it again. Du kannst dich auch gerne noch mal von mir abgrenzen *fg*) „Abweichlern“ insofern schwierig ist, als dass man am Rand der Normalverteilung einfach weniger Personen findet. Und diese dann zumeist noch (so) individuell und abweichend sind, dass sich da nicht per se Gemeinsamkeiten und Übereinstimmungen finden.
Was die „Hilfestellungen“ ohne Bewertungen anbetrifft: Ich bin in der Hinsicht erst am Anfang meiner Entwicklung, allerdings kann ich die „systemische Sichtweise“ nur empfehlen. Was damit alles möglich ist, ich sehen und auch selbst schon machen konnte… großartig. Wichtig ist zum Einen eben die „Neutralität“. Verhalten ist in erster Linie Verhalten. Es kann funktional oder dysfunktional sein, hatte irgendwann mal einen (Überlebens-)Zweck und ist etwas, was nicht jeder hat. Wertschätzung ist der Schlüssel. Und im Endeffekt ist das ja auch zutreffend. Depressive haben z.B. eine erstaunliche Fähigkeit. Ich für meinen Teil – und viele Workaholics vermutlich noch weniger – schaffe es nicht zwei Wochen lang am Stück im Bett zu liegen/nichts zu tun. Mit solchen – mitunter auch provokanten – Twists, gepaart mit ein paar anderen Strategien, kann man gänzlich neue Blickwinkel eröffnen. Und das ist – meiner Meinung und Erfahrung nach – entscheidend: Nicht jemandem etwas vorschlagen, sagen, ihn belehren wollen, sondern ihm dabei helfen es selbst zu erkennen. Und – sehr wichtig – das Gesicht wahren zu können. Niemand wird sein Verhalten ändern, wenn er dafür kritisiert wird (Reaktanz). Außer, der Gegenüber hat Macht über Belohnung/Bestrafung, aber das führt auch nur (/vorrangig) zu äußerlichen Veränderungen. Im Inneren braucht es Akzeptanz und Verständnis. Wenn das gegeben ist, hat der Mensch (ggf.) die Möglichkeit sich weiterzuentwickeln. Und selbst, wenn er das nicht tut, ist das okay. Vielleicht braucht er das, was du als „Problem“ ansiehst. Vielleicht empfindet er gar nicht, dass er sich verrannt hat (deine Bewertung! ;)). Von daher bin ich mittlerweile (/seit geraumer Zeit) dabei angekommen, Menschen (natürlich nicht allen *lach*) in meinem Umfeld Angebote zu machen. Ob sie diese wahrnehmen oder nicht, ist „egal“. Deren Sache. Wenn sie es tun, kann ich etwas Gutes tun/mich weiterentwickeln, tun sie es nicht, spare ich Zeit/Energie/Ressourcen. Jede Medaille hat zwei Seiten.
Aber eine Gratwanderung, ja. Vor allem, je mehr man selbst mit drin hängt. In persönlichen Beziehungen, wo man vielleicht auch Eigeninteressen hat, eine neutrale Rolle einzunehmen und zu schauen, was für den Gegenüber das Beste ist… verdammt schwierige Sache, mitunter.