Es gibt beim Kennenlernen und Flirten mindestens zwei verschiedene Ansätze, die sich gegenseitig komplett ausschließen: Das Entziehen und die Belagerung.
Das Erste kenne ich gut. Das ist es, was in Flirtbüchern sehr gerne beschrieben wird unter dem Motto „Sich interessant machen“. Man darf sich in dieser Sichtweise dem anderen nicht gleich in all seinen Gefühlen offenbaren, sondern bleibt ambivalent und entzieht sich regelmäßig. Das beweist dann, dass man ein eigenes Leben hat und nicht von der Zuneigung des Anderen abhängig ist. Und es signalisiert auch: Ich lasse dir deine Freiheit! In der positivsten Variante lautet der Spruch hierzu: Wenn du mich sehen willst, freue ich mich, aber ich sterbe auch nicht, wenn nicht. In der negativsten Variante werden nur Selbstzweifel beim anderen gesät, da man sich beständig fragen muss: Warum meldet sie sich nicht, dabei war das doch ein schöner Abend neulich?
An diese Idee des Kennenlernens schließen leider ganz viele Taktiken und Techniken des Sich-Entziehens an: Beispielsweise dass man sich drei Tage nicht meldet oder nur kryptische Nachrichten schreibt. Der Film „Hitch – Der Date-Doktor“ liefert sehr viele Beispiele für diese Taktik. Aber auch in der Literatur gibt es einige Ideen dazu: Max Frisch meinte einmal, dass die Interpretation der beste Weg sei, für eine Frau interessant zu werden. Man deutet und interpretiert sie in ihrer Persönlichkeit – das arbeite dann in ihr weiter: Entweder fühlt sie sich positiv erkannt und verstanden oder sie wehrt sich innerlich dagegen und will ihn vom Gegenteil überzeugen. Auf jeden Fall gelangt man so ins Bewusstsein.
Das Entziehen ist wie ein Pokerspiel, bei dem man seine Karten nicht von Anfang an auf den Tisch legen darf und sich der Einsatz pro Runde immer weiter erhöht. Das Ganze basiert allerdings auf einer Vorstellung von Selbstvertrauen, das eigentlich nur dann gegeben ist, wenn man nichts will oder noch andere Eisen im Feuer hat. Sobald man sich verliebt, kann man dieses Spiel nur unter großen Schmerzen mitspielen. Es geht merkwürdigerweise von einem in sich ruhenden, quasi emotionslosen Menschen aus: Die Sehnsucht oder das Begehren, der Wunsch nach Nähe oder miteinander Zeit zu verbringen, all das muss erstmal dem Kennenlernspiel untergeordnet und zurückgestellt werden. Erst am Ziel kann man diese Emotionen dann offenbaren, seine Karten offen auf den Tisch legen.
Sich zu Entziehen setzt natürlich bereits eine höhere Stufe des Wahrgenommen-Werdens voraus: Blöd wäre es, wenn man sich entzieht und der andere merkt es gar nicht.
Diesem Problem geht die zweite Taktik eher unelegant aus dem Weg: Man lässt dem anderen einfach keinen Freiraum, man ist immer für sie da und belagert die Festung der Geliebten. Dass man mit einer solchen Belagerung Erfolg haben kann, hätte ich nie geglaubt. Aber immer mehr Geschichten aus meinem Umfeld deuten in diese Richtung.
Die Belagerung funktioniert so: Man steht immer vor den Toren für Hilfe bereit, man bombardiert die Festung mit Einladungen und Ideen, man legt Geschenke vor den Toren ab. Man signalisiert schlicht, dass man die Frau will, dass man sich für sie entschieden hat. Meist werden die Belagerer zunächst abgelehnt, besonders auch weil die Frauen um ihre Freiheit ringen. Aber wenn die Belagerer dann mit selbstwertverleugnender Sturheit, unbeeindruckt von diesem ersten Nein weiter an ihrem Ziel festhalten, werden viele Frauen irgendwann schwach.
Der Vorteil der Belagerer ist, dass sie andere Typen, insbesondere Traumtypen, einfach überleben. Die meisten Frauen haben ja irgendjemanden, dem sie insgeheim nachtrauern, jemanden, von dem sie sich nicht trennen können oder jemanden, den sie voller Hoffnung anhimmeln. Es gibt also immer einen Dritten, sei er nun der Ex-Freund aus der Vergangenheit, die schwierige Beziehung in der Gegenwart oder der Wunschtraum in der Zukunft. Wenn das nicht klappt, und das tut es in den meisten Fällen nicht, dann ist der Belagerer zur Stelle: Da ist jemand, der sieht vielleicht nicht aus wie dein Traumtyp, aber der will dich ganz. Und es ist ja auch schön geliebt und umworben zu werden. Warum sollte man das nicht einmal testen? Aus einer Geliebten wird dadurch zwar noch keine Liebende, aber für eine stabile Beziehung und ein paar Kinder reicht es meist dennoch.
Irgendwann später bricht dann die Nicht-Liebe, dieser Makel eines Entschlusses zur Liebe, aus der Geliebten heraus. Besonders auch, weil der Belagerer sich meist deutlich verändert: Er hat alle Zweifel, alle Unsicherheit während seiner Belagerung ausgeblendet und seine eigenen Fähigkeiten sogar oft überstiegen, beispielsweise an Geschenken oder Gedichten. Er hat der Burg eine Aufmerksamkeit gewidmet, die er sobald er sie erobert hat, nicht mehr aufbringen kann. All sein Wollen war auf die Eroberung ausgerichtet, nicht auf die Frau…
Beide Wege sind natürlich nur dann Taktiken, wenn sie bewusst eingesetzt werden. Sie basieren auf einer Asymmetrie in der Beziehung: Einer will mehr als der andere. In dieser Asymmetrie sind beide Techniken vielleicht sogar verschränkt und bedingen einander. Der Verliebte erlebt dann, dass die Geliebte sich ihm entzieht, gerade weil sie sich belagert und unfrei fühlt. Da er ihr aber auch schon zuvor entgegen gegangen ist, wird er ihr im Entziehen noch stärker folgen und noch näher kommen wollen. Möglicherweise entsteht so tatsächlich, je nach Persönlichkeitstyp, die beschriebene Belagerungssituation.
Vielleicht sollte man ja auch das, was man Beziehungen nachsagt, dass immer einer mehr liebt als der andere und das auch wechseln kann, auf den Anfang von Beziehungen übertragen: Es liebt immer einer eher als der andere. Die hollywoodsche Vorstellung der Liebe auf den ersten Blick, der gleichzeitigen Liebe, ist äußerst selten. Meist muss der Blick erst gewonnen werden. In den allermeisten Fällen wird das allerdings nicht klappen – die meisten Asymmetrien bleiben asymmetrisch. Deshalb ist Entziehen, solange es nicht als ambivalente Technik eingesetzt wird, auch sinnvoll: Um aus dem Blick zu geraten.
Wow, das ist gut. Und eine Gratwanderung. Zwischen zu viel und zu wenig Aufmerksamkeit, zu viel und zu wenig Abhängigkeit usw. usf.. Es geht ja weder darum abhängig noch unabhängig zu sein, sondern… damn it, da gibt’s auch irgendeinen schönen Fachbegriff für. Im Englischen dürfte es „interdependent“ sein, quasi eine wechselseitige (Nicht-)Abhängigkeit, vielleicht erzähle ich aber auch gerade Quatsch.
Jedenfalls geht es wohl darum „die Mitte zu finden“. Dass der Entzieher ein wenig mehr belagert und sich der Belagendernde ein wenig mehr entzieht. Nicht „auf Kommando“ oder als Taktik/Strategie [Hmm, das geht definitiv nach hinten los.], sondern weil er es will. Der Unabhängige macht sich abhängiger und der Abhängige unabhängiger und gemeinsam sind sie voneinander… nun ja, unabhängig abhängig/abhängig unabhängig?!
It ain’t that easy… tragischerweise, möchte ich fast sagen. Wichtig ist halt (aus meiner Sicht), dass die Karten irgendwann auf den Tisch gelegt werden. Offenheit und Transparenz. Interesse an sich selbst und am anderen. Ach scheiße, das ist (vor allem in der Wirklichkeit) ziemlich schwierig.
Nicht zuletzt, weil da ja nicht nur A und B im Spiel sind, sondern eine Vielzahl anderer Wechselwirkungen noch Einfluss nehmen. [Damn it *lach*]