Heute morgen lief ein neuer Song von Bela B. im Radio. Unglaublich eigentlich, dass Bela B. noch Musik macht! Unwillkürlich musste ich daher an einen anderen Bela denken, über den ich neulich einen Vortrag gehört hatte: Den ungarischen Regisseur Bela Tarr. Er soll nach seinem Film „Der Mann aus London“ im Jahr 2008 gesagt haben: „Ich drehe keine Filme mehr. Mit diesem Film habe ich alles gesagt – jeder weitere Film wäre nur noch Wiederholung.“ Das ist eine wirklich interessante Aussage: Kann man an das Ende seiner Kunst stoßen? Kann man seine künstlerische Form und seine Fähigkeiten komplett ausreizen?
Das Gegenstück zu dieser Vorstellung der „Auserzählung“ der eigenen künstlerischen Idee ist wohl die Vorstellung der künstlerischen Weiterentwicklung. Der Künstler spiegelt seine persönlichen Veränderungen in seine Kunst hinein: All die Krisen und Verluste, all die Hoffnungen und Neuanfänge, all die Eingebungen und Rückfälle. Man schaut dem Künstler beim Werden zu. Für diese Erfahrungen braucht er auch neue Formen und entwickelt sich auf der Suche danach künstlerisch weiter. In diesem Sinne kann er den künstlerischen Formfundus gar nicht aufbrauchen.
Das ist allerdings eine sehr idealistische Vorstellung. So wie die meisten Menschen auch, neigen Künstler dazu, irgendwann an einen festen Kern ihres Selbst und ihrer Ausdrucksmöglichkeiten zu glauben. Es ist in der Kunst ja zudem auch fest verankert, einen bestimmten Stil, eine wiedererkennbare Marke für ein bestimmtes Publikum zu entwickeln. Insofern ist eine Veränderung oftmals nur in engen, formalen Grenzen möglich und eine Wiederholung fast unvermeidbar. Den einzigen Ausweg bildet eine „Neuerfindung“ des Künstlers. Dieser Weg birgt aber auch immer die Gefahr, vom Publikum nur als beliebig ausgetauschte Form oder als aufgezwungene Veränderung wahrgenommen zu werden.
Vielleicht wird vor diesem Hintergrund die formale Eingleisigkeit in Richtung Perfektion eines Bela Tarr umso bewundernswerter: Wenn man das perfekte Werk geschaffen hat, dann hört man einfach ohne Wiederholung und Variation auf. Man steigt aus, bevor es das Publikum tut. Der andere Bela, Bela B., wählt hingegen einen Zwischenweg und macht – jenseits der Suche nach dem perfekten Werk – einfach immer weiter. Er entwickelt sich und wiederholt sich: Er macht jetzt quasi Folk, aber seine Stimme und sein Gesang wiederholen sich nur noch.
Allerdings hat auch Bela Tarr es letzten Endes nicht geschafft, sich nicht zu wiederholen: Nachdem er bereits mit dem „Mann aus London“ alles gesagt hatte, hat er tatsächlich noch einen weiteren Film im Jahr 2012 gedreht. Vielleicht wollte er dem Publikum damit beweisen, dass er Recht hatte und sich wirklich nur noch wiederholt. Vielleicht wollte er aber auch in das bisher unerkundete Terrain einer postperfekten Kunst, einer Kunst nach dem Ende der (eigenen) Kunst vorstoßen. Das Ergebnis soll auf jeden Fall, da hatte Tarr recht, eine langweilige Wiederholung seines bisherigen Werks gewesen sein.
Bilder: Bela B (Henry Laurisch/Wikimedia), Bela Tarr (
Sehr interessante Gedanken. Vielleicht irrt der Künstler sich auch einfach…wie kann man von sich behaupten, alles gesagt zu haben, was sagens- oder zeigenswert ist? Das würde doch voraussetzen, dass man alles weiß, keinen neuen Input mehr erwartet und seinen Kopf einfach abstellt. Und vielleicht zeigen sich in den Wiederholungen viel interessantere Varianten bereits Gesagtem, Varianten die einfach verständlicher oder eindringlicher oder deutlicher sind.
Ich denke, wer als Künstler behauptet, es gäbe nix mehr zu zeigen oder sagen, ist vielleicht einfach des Künstlerseins müde.
Wahrscheinlich stimmt das auch. Es war bei Tarr nicht nur, dass er alles gesagt habe, sondern auch eine gewisse Ermüdung und Enttäuschung über die gesellschaftliche Wirksamkeit der filmischen Mittel dabei (zumindest sagte er das auch 2008).
Ich würde jedoch schon stark machen, dass man auch an die Grenzen seiner eigenen Kunst stoßen kann. Vielleicht muss man hier auch zwischen Inhalt und Form unterscheiden. Für die meisten Menschen steht der Inhalt im Vordergrund (so auch in meiner obigen Darstellung). An die Grenzen der Form gerät man schneller als an die des Inhalts. Ein Haiku-Dichter wird irgendwann ein in seinen Augen perfektes Haiku schreiben. Die Rettung liegt dann nur noch in der Variation des Inhalts.
Wieweit die Inhalte eines Künstlers variieren können, ohne, dass er sich wiederholt, hängt von der Tiefe des Blicks ab: Man könnte alle Woody-Allen-Filme unter dem Label „Menschliche Beziehungen sind kompliziert“ abtun und sagen, er wiederholt sich doch nur. Aber je tiefer man schaut, desto eher findet man auch Variation und Facetten.
Bela Tarr ist vielleicht eher auf der formalen Seite zu verorten. Seine Filme waren Meditationen über die Möglichkeiten der filmischen Darstellbarkeit. Der Inhalt stand dabei eher im Hintergrund. Insofern ist seine Aussage vielleicht auch verständlicher.
Falls es jemand noch einmal in Tarrs eigenen Worten nachlesen will: http://www.tip-berlin.de/kino-und-film/regisseur-bela-tarr-im-gesprach