Ein Freund erklärte mir einmal, was das Schlimmste für ihn am Waldorfschul-Milieu sei. Er war dort mehr oder weniger unfreiwillig hineingeworfen worden, weil seine Frau seine Kinder dorthin geschickt hatte. Das Schlimmste seien die Esoterik-Mütter! Aber nicht weil sie so esoterisch seien, sondern weil sie in ihrem spirituell aufgeladenen Vorstellungen und Ritualen keinerlei Fähigkeit zur Selbstironie hätten.
Das fand ich eine schöne Charakterisierung. Selbstironie bedeutet eine gewisse Distanz zu sich und seinen eigenen Ansichten zu haben. Wer das nicht kann, wird versuchen andere Menschen mit anderen Wertvorstellungen entweder zum richtigen Glauben zu missionieren oder zumindest ihre Ansichten für unterentwickelt zu halten. Insofern wäre die Fähigkeit zur Selbstironie eine wichtige Voraussetzung für gegenseitiges Verständnis.
Die Fähigkeit zur Selbstironie ist aber auch eine Frage der eigenen Erfahrung: Habe ich ein relatives oder ein absolutes Wertesystem erfahren? Ein Freund meinte dazu einmal, dass gerade auch die Wende hier von entscheidender Bedeutung gewesen sein könnte.
Dazu muss ich zunächst einen kurzen Exkurs machen: In den meisten Betrachtungen der 30- bis 40-Jährigen zum Mauerfall, die ich gelesen habe, kam nur die eigene Erfahrung vor. Das Motto war stets: „Ich habe die Wende und die DDR kaum erlebt, als wurde ich davon nicht geprägt.“ Alles wird auf die eigene Erfahrung zurückbezogen. Was in meinen Augen jedoch viel stärker wiegt: Die Erfahrung, die die eigenen Eltern in dieser Situation gemacht haben – dies hat man als Kind oder Jugendlicher ja miterlebt. Und für die meisten Eltern führte die Wende zu großer Verunsicherung. Das alte Wertesystem, an das man mehr oder weniger geglaubt hatte, wurde fast über Nacht falsch und ungültig. Was waren die neuen Werte? Woran orientierte man sich?
In dieser Situation ist es wahrscheinlich, dass man als Kind ein Wertesystem als austauschbar und relativ erfährt. Es ist nichts, an dem man mit absoluter Sicherheit festhalten sollte. Wer jedoch in einem unveränderten Wertekosmos wie beispielsweise im tiefsten Schwarzwald groß geworden ist, für den ist es in meinen Augen schon wahrscheinlicher, dass er absolute Grundüberzeugungen hat und absolute Werte vertritt. Das Relative kann dann nur durch die Abgrenzung von den eigenen Eltern, beispielsweise in der jugendlichen Rebellionsphase, entstehen. Das ist allerdings eine Phase, in der man eigentlich auch eher zu absoluten Wahrheiten neigt.
Es ist aber nicht nur eine Frage der vergangenen Erfahrungen, sondern auch der gegenwärtigen Bedürfnisse: Wer sucht, will finden. Der absolute Glaube erscheint als die Oase in der Wüste der Sinnsuche – auch wenn sie nur eine Fata Morgana ist. Gerade das Wissen, das man eigentlich ein Suchender ist, ist die wichtigste Voraussetzung zur Bewahrung von Selbstdistanz.
Bertolt Brecht hat dies einmal in der Geschichte „Die Frage, ob es einen Gott gibt“ schön beschrieben: „Einer fragte Herrn K., ob es einen Gott gäbe. Herr K. sagte: ‚Ich rate dir, nachzudenken, ob dein Verhalten je nach der Antwort auf diese Frage sich ändern würde. Würde es sich nicht ändern, dann können wir die Frage fallenlassen. Würde es sich ändern, dann kann ich dir wenigstens noch so behilflich sein, daß ich dir sage, du hast dich schon entschieden: Du brauchst einen Gott.‘“
Einen Gott zu brauchen – das ist der Einstieg in den absoluten Wertekosmos. Und je mehr man sich dann in den Kosmos der absolut Gläubigen hinein begibt, desto weniger wird man das Relative noch sehen und die Fähigkeit zur Selbstironie bewahren. Man braucht Menschen außerhalb dieses absoluten Wertekosmos, mit denen man noch die gleiche Sprache spricht (das ist nicht selbstverständlich) und mit denen man über die, in verschiedenen Universen erlebten, aber dennoch ähnlichen Erfahrungen sprechen kann.
Aber das ist auch selten. Wer will sich schon, wenn er etwas gefunden hat, wieder in Frage stellen lassen. Vielleicht umgeben wir uns ja insgeheim nur mit Menschen, die unser Weltbild sowieso bestätigen. Auch deshalb gibt es, nicht nur im Umfeld von Waldorfschulen, einen eklatanten Mangel an Selbstironie.
Gleichzeitig gibt es in unserer Gesellschaft aber auch das andere Extrem: Ein Zuviel an Selbstironie, das jede Position so wirken lässt, als hätte sie keine Verbindung zur sprechenden Person und sei willkürlich austauschbar. Gerade diese Form von übersteuerter Ironie, hinter der sich meist nur Positionslosikgkeit und Unsicherheit verstecken, ist hier nicht gemeint: Selbstironie zeigt vielmehr an, dass man eine Position gewonnen hat, die man ironisieren kann, aber die dennoch bestehen bleiben wird. Erst wenn eine Position innerlich gefestigt ist, wird man sie irgendwann auch ironisieren können.
Das ist wohl die Kunst: Seine absoluten Positionen mit relativer Ironie sehen zu können. An den Punkten, an denen man das nicht kann, da rutscht man leicht ins Absolute und Dogmatische.
P.S.: Dummerweise stelle ich grade, während ich dies schreibe, fest, dass ich auch in einigen Bereichen zum Dogmatischen tendiere: Zum Beispiel bei Fragen der sozialen Gerechtigkeit. Aber warum sollte ich dort ironisch sein? Das sind doch ernsthafte Fehlentwicklungen unserer Gesellschaft!
Verdammtes Bloggeschreibsel, stimmt doch alles gar nicht!
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