Die oberste europäische Gesundheitsbehörde, das European Centre for Disease Prevention and Control (ECDC), hat im Februar einen Überblick über die Wirksamkeit von Masken in der Alltagsmnutzung zur Eindämmung von Corona veröffentlicht. Leider blieb diese Einschätzung und die damit einhergehende Empfehlung bisher ohne großes mediales Echo.
Die ECDC gibt einen Überblick über die Forschung zur Wirksamkeit von vier verschiedenen Masken in der Alltagsnutzung: Selbstgebastelte Masken, medizinische Masken, FFP2-Masken und sog. Faceshields. Unbestritten ist, dass medizinische Masken und FFP2-Masken im Gesundheitswesen Menschen vor Ansteckung schützen. Doch gilt das auch, wenn diese Masken von Menschen genutzt werden, die im Umgang mit diesen Masken nicht geschult worden sind?
Doch zunächst die Forschungslage zur Wirksamkeit: Es gibt auch nach anderthalb Jahren Corona nur sehr wenige Studien zu diesem Thema. Vor Corona bestand kein Bedarf an solchen Community-Studien, da niemand auf die Idee gekommen wäre, auch Laien im Alltag die Nutzung solcher Masken zu empfehlen – dementsprechend gibt es nur Studien, die sich mit der Nutzung unterschiedlicher Masken im Gesundheitswesen beschäftigen. Die wenigen Studien, die die ECDC zur Alltagsnutzung gefunden hat, sind nicht sehr zuverlässig und konstatieren eine geringe bis mäßige Wirksamkeit. Dies ist aber auch verständlich, da der Goldstandard der medizinischen Forschung, die randomisiert-kontrollierten Studien, mit Masken nur schlecht durchgeführt werden können (dafür müssten Masken entwickelt werden, bei denen die Probanden die Filterwirkung nicht bereits anhand des Aussehens erkennen können). Es existieren daher im wesentlichen Beobachtungsstudien, die durch alle möglichen anderen Faktoren beeinflusst sein könnten, und Laboruntersuchungen, die mit der Nutzung im Alltag und den tatsächlichen Übertragungswegen von Corona nur wenig zu tun haben können.
Basierend auf diesen wenig belastbaren Daten gibt die ECDC dennoch eine Empfehlung heraus: Die Nutzung von mezinischen Masken wird für bestimmte Räume empfohlen wie zum Beispiel Geschäfte und Nahverkehr. Unter freiem Himmel kann die Nutzung medizinischer Masken auf überfüllten Plätzen in Betracht gezogen werden. Aber: Aufgrund der unklaren wissenschaftlichen Forschungslage kann die ECDC die verpflichtende Nutzung von FFP2-Masken für die Allgemeinbevölkerung nicht empfehlen. Es sollte zudem berücksichtigt werden, dass trotz der möglicherweise erhöhten Schutzwirkung diese Masken zumeist fehlerhaft benutzt werden und mögliche Leiden durch die geringere Atmungsaktivität ausgelöst werden können.
Wie voraussetzungsbedürftig FFP2-Masken sind, wird allein daran deutlich, dass es Schulungen für medizinisches Personal im Umgang mit diesen Masken gibt. Für die Allgemeinbevölkerung werden diese Schulungen nun scheinbar von den Medien vorgenommen. Dass die oberste europäische Gesundheitsbehörde die verpflichtende Nutzung dieser Masken nicht unterstützt, wird jedoch nicht erwähnt.
Die grundsätzliche Frage, die jedoch über der Maskennutzung steht, lautet: Wo stecken sich die Menschen eigentlich an? Wenn der Einsatz von Masken im Alltag keinen großen Unterschied in der Verbreitung von Corona macht, wo passieren dann die Ansteckungen?
Um Antworten auf diese Fragen zu finden, lohnt es sich, einen Blick in ein paar grundsätzliche Dokumente des Robert-Koch-Instituts zu werfen, die regelmäßig an den aktuellen Forschungsstand zu Corona angepasst werden. Zunächst kann man relativ sicher festhalten: Eine Ansteckung passiert selten unter freiem Himmel. Der Steckbrief des Robert-Koch-Instituts zu Covid formuliert dies so: „Übertragungen im Außenbereich kommen insgesamt selten vor. Bei Wahrung des Mindestabstandes ist die Übertragungswahrscheinlichkeit im Außenbereich aufgrund der Luftbewegung sehr gering.“ Die genannte Einhaltung des Mindestabstandes wurde von der Politik wörtlich genommen und führte dazu, dass immer wieder eine Maskenpflicht auf belebten öffentlichen Plätzen und Fußgängerzonen eingeführt wurde. In der Bevölkerung scheint daher teilweise die Vorstellung vorzuherrschen, dass man sich auch im Vorbeigehen bei jemandem anstecken kann.
Dies kann man aber ausschließen. Etwas deutlicher wird das RKI nämlich, wenn es um die Definition von Kontaktpersonen geht: Zur Kategorie I (mit hohem Infektionsrisiko) zählen Personen mit einem mehr als 15 minütigen Face-to-Face-Kontakt und Personen mit längerer Exposition (z. B. 30 Minuten) in einem Raum mit hoher Konzentration infektiöser Aerosole. Zur Kategorie II (mit geringerem Infektionsrisiko) zählen Personen mit einem weniger als 15 Minuten dauernden Face-to-Face-Kontakt und Personen, die keine längere Exposition (z. B. unter 30 Minuten) in einem Raum mit hoher Konzentration infektiöser Aerosole hatten.
Fraglich ist nun, ob ganze Innenstädte als „Raum mit hoher Konzentration infektiöser Aerosole“ definiert werden können. Die genannte Kontaktpersonen-Definition bezieht sich eher auf geschlossene Räume. Zur Ansteckung in geschlossenen Räumen schreibt das RKI in seinem Steckbrief zu Corona: „Bei längerem Aufenthalt in kleinen, schlecht oder nicht belüfteten Räumen kann sich die Wahrscheinlichkeit einer Übertragung durch Aerosole auch über eine größere Distanz als 1,5 m erhöhen, insbesondere dann, wenn eine infektiöse Person besonders viele kleine Partikel (Aerosole) ausstößt, sich längere Zeit in dem Raum aufhält und exponierte Personen besonders tief oder häufig einatmen. Durch die Anreicherung und Verteilung der Aerosole im Raum ist das Einhalten des Mindestabstandes zur Infektionsprävention ggf. nicht mehr ausreichend. Ein Beispiel dafür ist das gemeinsame Singen in geschlossenen Räumen über einen längeren Zeitraum, wo es z. T. zu hohen Infektionsraten kam, die sonst nur selten beobachtet werden.“
Basierend auf dieser Definition könnte man die Wahrscheinlichkeit einer Ansteckung im Supermarkt und in Geschäften auch als gering einschätzen. Im Nahverkehr könnte jedoch das Risiko einer 15-minütigen Face-to-Face-Exposition bestehen.
Unabhängig von Ansteckungswegen und -szenarien wurden viele Anti-Corona-Maßnahmen (wie die Schließungen des Einzelhandels im Dezember) damit begründet, dass eine hohe Anzahl von Infektionen nicht nachvollzogen werden könne und es daher nicht ausgeschlossen werden kann, dass die Ansteckungen auch beispielsweise im Einzelhandel stattfinden. Das verkündete Ziel der Politik ist es, die 7-Tage-Inzidenz erst auf 50 Infektionen pro 100.000 Personen und mittlerweile auf unter 35 Infektionen pro 100.000 Personen zu senken. Erst dann sei es den Gesundheitsämtern wieder möglich, die Infektionsketten nachzuverfolgen. Es ist allerdings fraglich, ob eine solche Nachverfolgung wirklich (noch) erreicht werden kann. Eine soziologische These, warum Infektionsketten – unabhängig von der Inzidenz des Landkreises und der technischen Fähigkeit des jeweiligen Gesundheitsamts – häufig nicht komplett nachverfolgt werden können, könnte lauten: Weil viele Menschen ihr nicht-corona-konformes Verhalten nicht zugeben und eine Strafe dafür kassieren wollen. Hinzu kommt, dass sie nicht dafür verantwortlich sein wollen, wenn für ihre Freunde und Bekannten eine 14-tägige Quarantäne angeordnet wird. Es mag sehr vorbildliche Bürgerinnen und Bürger geben, die dann all ihre Kontakte benennen – aber je länger die Krise anhält und je länger die Kontaktbeschränkungen aufrecht erhalten werden, desto mehr Menschen werden abweichendes Verhalten entwickeln. Und dies wird die Inzidenzzahlen wieder nach oben treiben. Daraufhin wird die Politik wieder mit neuen Beschränkungen reagieren – auf die immer größere Teile der Bevölkerung mit nicht-konformem Verhalten (hauptsächlich in ihrem privaten Umfeld) reagieren werden. Ein Teufelskreis.
Der öffentliche Raum ist ein Ort, den die Politik jedoch noch kontrollieren kann. Daher hat sich die Maskenpflicht dort auch als Mittel der Wahl durchgesetzt, um auf steigende Corona-Zahlen zu reagieren. Es scheint aber auch bei der Maskenpflicht mittlerweile gegenteilige Effekte zu geben: Je strikter die Masken verordnet werden, desto mehr befreien sich die Menschen von den Masken und genießen ihre Maskenpausen – gerade in diesen Situationen finden dann Ansteckungen statt. Dies scheint besonders im Arbeitskontext ein bedeutsamer Treiber der Infektionen zu sein.
Wie weit der Teufelskreis aus nicht mehr erreichbarer Bevölkerung und politisch immer härteren Maßnahmen gehen kann, sieht man in Tschechien. Dort gilt eine strikte Maskenpflicht seit Oktober auf öffentlichen Plätzen und in Geschäften und dennoch sinken die Zahlen nicht. Eine generelle FFP2-Maskenpflicht wurde nun ab 25. Februar eingeführt – alternativ können auch zwei (!) OP-Masken übereinander getragen werden.
Es scheint eine gewisse Maskenmüdigkeit in einem Teil der Bevölkerung auch in Deutschland einzusetzen. Ein anderer Teil der Bevölkerung greift jedoch bereitwillig auf die Nutzung von FFP2-Masken zurück. Es scheint, dass hier die Bedrohung durch die ansteckenderen Virus-Mutationen dem Selbstschutz-Gedanken durch medizinische Masken eine größere Bedeutung verschafft hat – obwohl sich die Übertragungswege von Corona in öffentlichen Räumen auch durch die Mutationen nicht wesentlich geändert haben (die Definition des Ansteckungsrisikos des RKI ist weiterhin gleich geblieben) und sich die Mutationen durch einen Lockdown wie er in Deutschland durchgeführt wurde genauso bekämpfen lassen (in Irland wurde bei den Privatkontakten zusätzlich ein sog. Bubble-Konzept umgesetzt) – allerdings nur, solange der oben beschriebene Teufelskreis nicht einsetzt.
Auch die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat sich mit der Maskennutzung im Gesundheitswesen und in der allgemeinen Öffentlichkeit auseinandergesetzt. Die Empfehlung erschien bereits im Dezember. Ebenso wie die ECDC kommt die WHO zu dem Schluss, dass es nur geringe und widersprüchliche wissenschaftliche Beweise für die Wirksamkeit der Maskennutzung bei gesunden Menschen in öffentlichen Räumen zur Verhinderung von Corona-Ansteckungen gibt. Dennoch empfiehlt die WHO die Nutzung von Masken in Räumen, in denen der Mindestabstand von einem Meter nicht eingehalten werden (der Mindestabstand laut WHO ist nur 1 Meter, nicht wie in Deutschland 1,5 bis 2 Meter). Die Nutzung von medizinischen Schutzmasken durch die allgemeine Öffentlichkeit wird nur für Risikogruppen und Infizierte empfohlen. Allerdings sieht die WHO auch zwei eher unerwartete Vorteile in der Maskennutzung in der Öffentlichkeit: Das stigmatisierende Potential des Maskentragens werde reduziert und damit die Akzeptanz der Maskennutzung erhöht. Außerdem gebe die Maskennutzung im öffentlichen Raum den Menschen das Gefühl, dass sie auch eine Rolle beim Verhindern der Verbreitung des Virus spielen können.
Es scheint, dass sich diese Sichtweise zumindest in Deutschland in bestimmten Bereichen durchgesetzt hat: Wer keine Maske im öffentlichen Raum nutzt, wird immer mehr als Gefahr gesehen. Und das obwohl der wirkliche Nutzen der Masken in der Alltagsnutzung bei der Verbreitung von Corona weiterhin wissenschaftlich umstritten ist und Ansteckungen mit hoher Wahrscheinlichkeit im Wesentlichen in maskenfreien privaten Treffen und Arbeitssettings mit längerem persönlichen Kontakt stattfinden.
Ungeachtet der geringen wissenschaftlichen Evidenz muss man jedoch auch feststellen, dass die Maske zumindest im letzten Jahr auch eine politische Funktion hatte: Sie war ein gesichtswahrender Kompromiss, um der Politik die Öffnung von Geschäften, Restaurants und Kultureinrichtungen wieder erlauben zu können. Es könnte sein, dass dies der Politik nach der zweiten Welle und der (tatsächlich vorhandenen, aber auch medial hochgeschriebenen) höheren Bedrohung durch die Mutationen nicht mehr ausreicht und zusätzlich Schnelltests und ein Impfausweis zur Nutzung von bestimmten Angeboten hinzukommen werden. Möglicherweise beschließen einige Bereiche, beispielsweise kulturelle Einrichtungen, die Einführung solcher zusätzlichen Maßnahmen auch von selbst – in der Hoffnung, dann wieder öffnen zu können.
Dabei wäre es eigentlich an der Zeit, die Maskenpflicht zumindest auf öffentlichen Plätzen und die verpflichtende Nutzung von FFP2-Masken allgemein zu hinterfragen. In den Medien wird dies nicht geschehen – sehen sich die Medien doch, wie oben bereits geschrieben, eher als Schulungsgeber für die unwissende Bevölkerung. Einige Gemeinden haben immerhin angefangen, die Maskenpflicht auf öffentlichen Plätzen aufzuheben – leider nur aufgrund von sinkenden Inzidenzzahlen und nicht aufgrund der nicht-erwiesenen Wirksamkeit. Sie halten damit auch am Automatismus fest, der bei steigenden Inzidenzzahlen die Einführung einer Maskenpflicht im öffentlichen Raum verordnet. Besser als dieser symbolpolitische Aktionismus wäre es, wenn der Fokus mehr auf den real vorkommenden Ansteckungswegen läge. Das Beispiel Tschechien könnte der Politik vielleicht verdeutlichen, dass es nicht hilft, die Schraube immer fester zu ziehen, da irgendwann das Gewinde nicht mehr greifen wird.
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