Oft hoffe ich ja, dass ich in Phasen der Stummheit eigentlich nur Verse, eigentlich nur Inneres ansammle. So als wäre ich ein Staudamm, in den unaufhörlich ein kleines Rinnsal der Erkenntnis, der Kreativität hineinfließt. Man darf diesen Bach bei seiner Sammlung nicht durch eine vorzeitige Entnahme des Wassers stören. Man könnte ihn zum Versiegen bringen, wenn man zu viele Bilder, zu viele Ideen vorzeitig entnimmt. Irgendwann ist der Stausee dann voll und kann sich endlich in verdichteten, kongenialen Zeilen ergießen. Eine merkwürdige Vorstellung. Es ist wohl bloß eine geschönte Geschichte, um das Verstummen zu erklären. Eine Entschuldigung, um nicht vor dem Perfekten anzufangen. Als würde man nicht gerade mit der regelmäßigen Entnahme und Entäußerung den Fluss weiter bestärken, ihn verbreitern und vertiefen. Das ist es wohl: Je mehr man entnimmt, desto breiter und vielströmiger wird er. Desto eher kann man die einzelnen Strömungen erkennen, sich selbst hineinstellen, sich von ihnen treiben lassen, und dann wieder gegen sie ankämpfen – sie in diesem Kampf um Halt in Worte bannen. Es ist nicht so, dass der Strom der Kreativität versiegt. Und wenn doch einmal, dann sicher nicht, weil man ihn entleert hätte, alle Bilder benutzt und alle Ideen in Worten festgezurrt hätte. Nein, ein Versiegen hat andere Gründe, das Aufschreiben ist nur nachrangig, es ist nicht Ursache, sondern Folge anderer innerer Entwicklungen.
Jede Zeit hat ihr jeweiliges „Ich“, genauer die ihr zugehörige Art des „Ich“-Sagens. Dabei ist das Verstummen wohl auch eine Form dieses Sprechens, eine traurige zwar, aber eine umso deutungsreichere. Dieser Blog war lange Zeit meine Art des Ich-Sagens. Ich hatte hier eine Sprache gefunden, ein Medium, das mich anspornte, mich dem eigenen Fluss zu stellen, ihn zu erkennen und zu vertiefen. In letzter Zeit ist mein Ich hier verstummt. Das lag auch am Medium: An der unerkennbaren Öffentlichkeit hinter meinem Bildschirm, aber auch an klar erkennbaren Menschen, die nicht von diesem Ich lesen sollten. Zudem wandelte es sich ja auch noch. Je mehr ich mich von hier verabschiedete, desto mehr kam ich zu einem realen öffentlichen Ich. Nicht dass diese neue Form durch eine ähnlich große innere Offenheit bestimmt war, es war eher eine Phase der Äußerlichkeiten, der Präsenz. Aber ich habe das auch nicht entschieden. Viele innere Entwicklungen entdeckt man ja erst, wenn sie bereits vollzogen sind – die leichten Schattierungen einer Entwicklung werden doch durch die starken und bekannten Farben viel zu lange übertüncht, man erkennt sie erst, wenn sie in vollem Kontrast aus dem Dunkel treten und allen bis dahin unbekannten Farblinien des Ichs eine erschreckend sinnhafte Zugehörigkeit verleihen. Es war ein Ich, in dem ich mich wohl fühlte, aber mich auch nicht bewegen konnte. Wie das wohl immer der Fall ist, wenn man sich von einem anonymen Außen abhängig macht: Einem Lächeln oder einem Gruß im Vorbeigehen. Einem Bekanntsein. Natürlich war es nicht nur diese Entwicklung, die mich verstummen ließ. Aber sie führte doch zu einem öffentlichen Bild, das nicht mehr zu dem hier früher ausgesprochenen Ich passte. Übrig blieben bloß das Politische und einige Filmkritiken – als Ich-freie Zonen.
Langsam finde ich aber in diese alte Form des Sprechens zurück. Es ist wohl nicht dasselbe Ich, was sich hier äußert, aber doch eines, das die Bedeutung des Flusses und all seiner Strömungen erkannt hat. Wir werden sehen, Ich werde sehen.
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