In letzter Zeit stelle ich immer wieder mit Erstaunen fest, dass nicht nur ich altere, sondern auch mein Blick. Während ich das erste kaum verwunderlich finde und mit mehr oder weniger Zähneknirschen und Graue-Haare-Zählen akzeptiere, finde ich das zweite wirklich merkwürdig.
Wenn ich Erstsemester sehe, denke ich immer häufiger: „Das sind doch Schüler, die sind doch erst fünfzehn!“ In dieser extremen Verjüngung versuche ich natürlich nur, mein eigenes Altern zu kaschieren. Allerdings geschieht diese Wahrnehmung und das daraus resultierende Urteil wirklich unbewusst. Ebenso unbewusst passiert es, dass ich plötzlich Über-Dreißig-Jährige Frauen wesentlich attraktiver finde, dass sich mein „Beuteschema“ um 10 Jahre nach oben verschoben hat. Daher stellt sich die Frage: Wie kommt es, dass sich mein Blick so ändert? Altert mein Blick mit? Gerade die Wahrnehmung unserer Umwelt scheint doch etwas so stabiles und verlässliches zu sein!
Vielleicht erkennt man daran aber gerade, wie relativ die eigene Wahrnehmung ist. Was wir sehen, ist eben nicht einfach nur unsere Umwelt. Wieviel sich auch bei uns noch ändern kann, wird leicht ersichtlich, wenn man bedenkt, in welch einer Wahrnehmungswelt Kinder leben: Vor einiger Zeit habe ich eine Freundin mit ihrem Kind in Portugal besucht. Das Kind war fasziniert von Tauben und Gullideckeln. Wir sind also durch die schönsten Gegenden gelaufen und alles, was das Kind sah, waren Tauben und Gullideckel. Vermutlich sah es auch mehr, aber das war eben das Einzige, was es faszinierte und auch benennen konnte.
Als Erwachsene glauben wir, dass wir alles wahrnehmen, weil wir es auch benennen können. Vielleicht ist durch die Benennbarkeit auch unsere Faszinationsfähigkeit verloren gegangen. Wenn aber das Kind solch einen weiten Weg des Wahrnehmens bis zu seinem Erwachsenenen-Dasein geht, warum sollte dieser Weg wirklich in der Benennbarkeit der Dinge enden? Möglicherweise ändert sich unsere Wahrnehmung noch immer, es äußert sich nur anders. Beispielsweise in dem beschriebenen, unbewussten Altern des Blicks.
P.S.: Die Gegenthese: Vielleicht ändert sich unsere Wahrnehmung aber auch im Laufe des Lebens gar nicht: Es könnte sein, dass wir eigentlich nur Tauben und Gullideckel sehen, wenn wir durch die Stadt laufen – nur, dass sie bei uns mittlerweile anders heißen (im Urlaub beispielsweise „Kirchen“, „Sonnenuntergänge“ und „Sandstrände“).
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