Ich hatte heute wohl das anstrengendste Interview meines bisherigen (semi-)journalistischen Daseins. Es war ein Telefoninterview mit dem thüringischen Staatssekretär für Bildung, dem zweiten Mann im Hochschulstaat. Ich hatte ihn schon mehrfach live erlebt und seine Eloquenz hat mich im Gegensatz zum eher stupiden Auftreten des Kultusministers sehr begeistert.
Daher wandte ich mich an ihn, um eine Stellungnahme zu den Paragraphen des neuen Hochschulgesetzes, die das Klinikum betreffen, zu bekommen. Grob gesagt wird das Klinikum selbstständig(er), es kann seine Finanzen und seine Grundstücke selbst verwalten, kann Kredite und Hypotheken aufnehmen. Gleichzeitig wurde aber auch die innere Hierarchie umgebaut. Noch extremer als an der Hochschule wurden die demokratisch gewählten Vertreter aus dem Vorstand bugsiert. Der Vorstand besteht nur noch aus drei Leuten, die einstimmig beispielsweise über die Verwendung aller Gelder, über die Schließung von Instituten und die Ernennung von Institutsleitern entscheiden müssen.
Darüber also wollte ich mit dem Staatssekretär sprechen und wählte zugegebenermaßen einen schlechten Einstieg, als ich ihn auf die “Machtballung” des Vorstands ansprach. Er reagierte entrüstet und wollte das Gespräch gleich abbrechen. Auf so einem Niveau wolle er nicht weiter reden, das sei dem Thema nicht angemessen. Durch etwas mehr Geschick konnte ich das Gespräch zunächst doch noch retten und er begann zu erzählen, dass doch solch ein riesiges “Unternehmen” professionell geleitet werden müsse. Aber auf jeden Einwand meinerseits reagierte er zugleich pikiert und aggressiv. Ich habe selten ein Gespräch mit einem so dünnhäutigen Menschen geführt. Seine dünne Haut war der Anspruch, die Intellektualität. Sobald eine Frage etwas schärfer möglicherweise damit auch unpräziser gestellt war, wollte er das Gespräch abbrechen, das war unter seinem Niveau.
Ich konfrontierte ihn mit einer anderen Meinung (”die Fakultät wird entmachtet”), die er dumm und unreflektiert fand. Dann holte er sie raus, die Intellektuellen-Keule für den alltäglichen Umgang mit den Medien: “Das ist ja noch schlechteres Niveau als bei der Bildzeitung.” Er warf mir vor, künstlich Probleme zu schaffen, da doch alle mit dem Gesetzentwurf zufrieden seien. Mit einer hohen, aufgebrachten Stimme sagte er: “Und dann kommt ihr wieder mit eurer Studentenzeitung und sucht wieder nur das Schlechte.” Es fehlte nur noch, dass er sagte, wir würden Dreck werfen und das Nest beschmutzen. Denn eigentlich könnte Thüringen ja froh sein, dass die Kliniken nicht komplett privatisiert worden seien wie in Hessen und dass der Tarifvertrag gültig bleibt. Aber muss man dafür die demokratischen Strukturen opfern?
So diskutierten wir etwa 20 Minuten lang, bis er dann für sich selbst festlegte, dass das Gespräch so seine Meinung nicht adäquat wiedergeben könne. Er wiederholte immer wieder: “Das können sie nicht abdrucken, dafür gebe ich ihnen keine Authorisierung.” Ich wies dezent darauf hin, dass ich keine Authorisierung brauche, da er das Gespräch im Wissen darum begonnen habe, dass ich es für eine Zeitung führe. Da holte er die letzte Keule raus: “Falls sie es dennoch abdrucken, werde ich dem Akrützel nie wieder ein Interview geben.”
Das Gespräch ging dennoch weiter und wir diskutierten über das Gespräch an sich noch etwa 10 Minuten. Ich sprach von Redaktionsschluss, er von sich Zeit nehmen. Er wollte mir alles erläutern, wobei das, nach den Erfahrungen mit seiner Kritikfähigkeit, eher nach dem Wunsch nach Brainwashing klang. Das Gespräch war so anstrengend, weil der Staatssekretär bei ihm unliebsamen Fragen entweder die Exit-Option stark machte (nach dem Motto “solche Fragen beantworte ich nicht”) oder auf mein mangelhaftes (weil kritisches?) Wissen verwies (”das sollten sie noch einmal nachlesen”). Ihn am Hörer zu halten war somit ein Balance-Akt: Wir redeten fast mehr Meta als über die Sache an sich. Etwa 40 Minuten. Da hätte er mir das Gesetz wahrscheinlich auch haarklein erklären können.
Am Ende sagte er dann unerwarteterweise, dass ich so nicht einmal ein Zwei-Minuten-Statement hätte. Überrascht fragte ich ihn, ob er mir das denn noch geben könne. Dann fing er an. Die bestmögliche Lösung bundesweit …
Was mich am meisten wundert, ist, dass er eine enorme Professionalität erwartete, ohne sie selbst jedoch auch nur ansatzweise an den Tag zu legen. Er reagierte immer nur überzogen wie ein kleines Kind. Da ist mir der plumpe Kultusminister mittlerweile bei weitem lieber, bei ihm kann man wenigstens noch provokativ sticheln. Der nimmt das nicht persönlich.
es sollte hei?en: „keine Professionalit?t, nirgends“
?brigends bewundere ich das, da? Du es schaffst, so einen schwierigen Gespr?chspartner so lange zu behalten, ihm weiterhin mit kritischen (denn das sind Journalistenfragen) Fragen kommst und ihm dann noch ein 2-Minuten-Statement abringst.