Die letzte Nacht war in ihrer Ereignisdichte ungewöhnlich. Daher mal eine sehr ausführliche Geschichte.
Die beiden Anderen gingen immer früh schlafen. Der eine (F), weil er sich entspannen und den Sonnenaufgang sehen wollte. Der andere (T), weil er nicht mehr schlafen konnte, wenn es hell ist, und auch mehr als sechs Stunden Schlaf brauchte, um nicht ungehalten zu werden. Da wir am nächsten Tag früh und fit losfahren wollten, wollten sie an diesem Abend noch früher ins Bett gehen: Um 22 Uhr. Um diese Uhrzeit waren wir allerdings noch in der Stadt. Ich war froh um jede vertrödelte Minute, weil ich so früh weder schlafen konnte noch wollte.
Durch Zufall lernten wir einen kleinen italienischen Jungen kennen, er hieß Edison und turnte auf dem Marktplatz herum. Seine Mutter war die schwarze Eisverkäuferin, die erste schwarze Frau, die T jemals toll fand, wie er uns tags zuvor gestanden hatte. Nun lernten wir auch ihren langnesigen italienischen Ehemann kennen. Wir unterhielten Edison eine Weile, indem wir ihm sinnlose Fragen aus dem Reiseführer stellten (”Entschuldigen sie, kann man hier noch ein Kinderbett hinzustellen?”), um die Wette rannten und Fußball mit ihm spielten.
Dann erinnerten sich die beiden an die Uhrzeit und verabschiedeten sich von Edison. Zum Campingplatz mussten wir tausend Stufen über einen Berg erklimmen. Ich ging vor. F ärgerte T von hinten, indem er ihm die Beine wegzog. An einer Weggabelung begannen sie sich zu streiten, wer als erster hochgehen sollte. F: Du musst Vertrauen lernen. T: Nein, du trittst mich wieder. Entnervt ging ich vor und wartete am Ende der langen Treppe. 10 Minuten, 20 Minuten, eine halbe Stunde. Glücklicherweise hatte ich mir eine Theorie zurechtgelegt: Die beiden hatten sich sobald ich außer Hörweite war verständigt, dass sie mich erschrecken wollten und waren schnell vorgerannt. Das klingt merkwürdig, aber ich glaubte daran. Besonders auch, da ich am Abend zuvor, als ich alleine die Treppen erklommen hatte, von einem hinter einer Ecke stehenden Italiener mit den Worten “Buona sera” gegrüßt worden war, in einem Tonfall, den ich den beiden am nächsten Tag nicht beschreiben konnte und über den sie sich lustig machten, der mir aber bedenklich erschien, zumal er mir nach diesem dubiosen Gruß zu folgen begann und erst bei einem belebteren Wegstück wieder verschwand. Ich dachte also, die beiden wollten mir auch “Buona Sera” wünschen. Nach einer halben Stunde, beschloss ich ihnen ein Schnippchen zu schlagen und lief zurück in die Stadt. Die Treppe war leer, keine Spur von den beiden. Ich hatte also recht gehabt.
Ich setzte mich wieder auf den Platz und beobachtete eine hübsche Kellnerin, die mir zuvor zugelächelt hatte. Ich wollte sie ansprechen, doch in mir hatte sich im Laufe des Urlaubs eine Sprachbarriere errichtet, eine Sprachangst. Ich war mir so sehr meiner Unfähigkeit, italienisch zu sprechen bewusst, dass ich nicht einmal mehr zu sprechen anfing, ganz besonders auch, weil ich früher ein wenig italienisch konnte. Ich malte mir das Stocken aus, in das ich käme, und träumte zugleich davon, plötzlich fließend italienisch zu sprechen und sie zu fragen, wann sie denn Schluss habe. Mehr wäre mir leider auch im Deutschen nicht eingefallen, auch wenn ich dann immerhin die Grundsicherheit gehabt hätte, das Gespräch charmant fortführen zu können. So aber verharrte ich und beobachtete stattdessen die Menschen auf dem Platz. Ein Clown kam und verkaufte Neonlicht-Wedel-Büschel. Edison, der immer noch herumsprang, und ein paar andere Kinder kauften sich diesen Lichtschwert-Ersatz und kämpften gegeneinander.
Leicht wehmütig beschloss ich – ohne mich zu verabschieden – zurück zum Zeltplatz zu gehen. Ich erwartete die beiden schlafend vorzufinden, nachdem ich sie ja ausgetrickst hatte. Aber sie waren nicht da, sie waren weg. Wir hatten zuvor eine Flasche Wein geleert, so dass ich das eher angetrunken als panisch wahrnahm. Ein wenig unruhig wurde ich dennoch. Kurz bevor ich mich auf einen erneuten Weg in die Stadt machte, kamen sie mir lachend entgegen. Sie hatten sich geprügelt, nachdem ich sie verlassen hatte. Ich nahm das gelassen hin. Wir gingen zu einer Laterne und beide zeigten mir ihre leichten Schürf-Wunden. Sie hatten sich danach ebenfalls auf den Platz gesetzt und bei einem Bier darüber geredet.
Dann gingen wir schlafen. T schlief draußen, weil mein 2-3-Mann-Zelt, doch eher 2 als 3 war. Dann explodierte eine Bombe in unserer Nähe, dann noch eine. Dann erkannte ich, dass diese ohrenbetäubenden Geräusche zu einem Trockengewitter gehörten. Ich war wach. T schlief noch. Ich grübelte lange darüber nach, wie man bei diesem Lärm schlafen konnte, und lag wach. Zumal auch die Blitze sich exorbitant vermehrten. Ich fühlte mich kurzzeitig wie auf einem Laufsteg, in einem Blitzlicht-Gewitter, ich winkte allen zu und lächelte. Dann war ich wieder im Zelt und bemerkte zu meinem Erstaunen, dass die unbestimmten Lichtverhältnisse am Einschlafen hinderten. Wieder blickte ich zu T, überlegte ihn zu wecken. Dann kamen die ersten Tropfen und mit ihnen verlagerten sich die Probleme. F hatte seine Thermarest-Matratze draußen extra nocheinmal aufgeblasen, bevor er zu uns ins Zelt kam. Der Regen prasselte nieder, ich war der einzige Wache im Zelt. Mein Platz war durch die fette Matratze knapp unter meine Schulterbreite geschrumpft. Mit dem Gesicht lag ich entweder im Zelt oder hatte einen Arm oder Atem im Gesicht. So verging die Zeit quälend langsam. Ich musste auch einmal geschlafen haben. Wenn ich nicht schlief, blickte ich auf die Uhr. Die Uhr war, wie sich später herausstellte für etwa anderthalb Stunden stehengeblieben. Das elektromagnetische Feld, oder so. Ich hatte also etwa eine Stunde geruht, aber die Ereignisse der Nacht immerhin vergessen.
Ich musste auch fit sein, F bekam immer Rückenschmerzen vom Autofahren und T konnte nicht fahren. 10 Stunden Autofahrt. Zwischendurch merkte ich, wie müde ich war dadurch, dass mir, wenn ich meinen Blick von der Straße abwandte und kurz am Straßenrand etwas anderes als Markierungen fokussieren wollte, die Augen zufielen.
Aber wir kamen über den Brenner (F fuhr.). Dann riss der Keilriemen kurz hinter München und wir überprüften die alte Strumpfhosentheorie. Zunächst war es witzig und schwierig, an einer Raststätte eine Damenstrumpfhose zu besorgen. Eine Münchnerin drehte uns ihre Nagelneue für 7 Euro an. Eine Restaurantbedienung gab uns ihre Ersatzstrumpfhosen. Die teuren zerfledderten, die kostenlosen schmolzen. Die Weiterentwicklung und Verbesserung der Strumpfhose hat die Zweitverwendung als Keilriemen unmöglich gemacht.
Im Endeffekt riefen wir den ADAC, in dem ich eigentlich nicht mehr Mitglied war und kamen gegen Mitternacht in Jena an.