Harald Staun hat in der Frankfurter Sonntagszeitung einen Antwortbrief auf den offenen Brief von Natascha Kampusch geschrieben. Ich habe selten einen so guten Artikel über die Funktionsweise der Medien gelesen. Allerdings muss man dafür den Artikel nicht als Selbstrechtfertigung für mögliche Demütigungen sehen, sondern als bitterböse Medienkritik – er unterschreibt ja auch „in Vertretung“ für die Medien.
Er beschreibt eindringlich, warum die Medien sie nicht in Ruhe lassen können, warum die Medien nach ihrer eigenen Funktionslogik vermeintliche Wahrheit für ihre Leser produzieren müssen, warum sie ihr keinen Alltag in der Hölle gönnen können.
Viele Blogger haben nun aufgeschrieen und sogar Unterschriftenaktionen gestartet. Allerdings ist die grundsätzliche Frage, ob der schuldig ist, der allein die Funktionsweise der Pistole erklärt. Einer Waffe, die regelmäßig von den Journalisten und den Lesern (mit dem Zeigefinger aufs Ziel deutend) abgefeuert wird.
Schön ironisiert Staun den Unterschied zwischen dem Journalisten als Person und den Journalisten allgemein, es ist – soziologisch gesprochen – der Unterschied zwischen System und Akteur. Die leidige Frage nun, wer kann die Logik des Systems durchbrechen, wenn nicht die Akteure selbst. Zu den Hauptakteuren im Mediensystem gehören aber auch die Leser. Ihre Aufmerksamkeit ist der alles entscheidende Faktor im Medienspiel. Allerdings gilt für sie das gleiche wie für die Journalisten: Jeder einzelne Leser wünscht Natascha wohl Ruhe, aber allesamt wollen sie doch ihre Geschichte erfahren. Ein Interview mit ihr wäre ein unglaublicher Scoop in der Medienlandschaft. Und das wäre er nur, weil er die Aufmerksamkeit eines Millionenpublikums garantiert. Das schreibt Staun nicht, das hätte ihm wohl noch harschere Kritik eingebracht, weil es wie eine Verantwortungsverlagerung wirken würde.
Die Frage ist: Wo gibt es Veränderungspotential? In der Selbstbeschränkung der Journalisten, in einem Ehrenkodex? Solange der Medienbetrieb und damit die Leserschaft den moralischen Bruch nicht mit verminderter Aufmerksamkeit sanktioniert, werden Free-Rider das kalkulierte Risiko zu nutzen wissen. Ist es die Exit-Option der Leserschaft, der Kaufboykott? Das wäre sehr wenig. Zumal die Organisationsfähigkeit der Leser genauso gering ist, wie sie ausdifferenziert sind.
Aber das klingt alles recht fatalistisch, als wäre alles schlecht. In den Printmedien funktioniert die Selbstkontrolle, in meinen Augen, noch recht gut. Wir haben ein breites Qualitäts- und Interessenspektrum. Bei Radiosendern sieht das beispielsweise anders aus. Aber das ist ein anderes Thema.