Eigentlich hatte ich mir für die erste Thüringer Bloglesung Großartiges ausgedacht. Ich wollte, da ich Bloglesungen vor einiger Zeit schwer kritisiert hatte, mehr Internet und mehr Blog bieten, statt einfach nur alte Texte vorzulesen. Um die Pointe bereits vorwegzunehmen: Der Mut verließ mich aus diversen Gründen äußerst frühzeitig, so dass ich es nicht einmal wagte, “einfach” nur Texte zu lesen.
Aber ungeachtet dessen, hier nun meine Ideen, just so, als ob ich sie gleich ausführen würde. Am Anfang wollte ich völlig vermummt auf die Bühne kommen. Dann würde ich mit jedem Satz meines Textes eine Schicht ablegen. Da mir hierfür allerdings die Pointe fehlte (sollte ich mich komplett ausziehen, das wäre drastisch genug gewesen, eine Pointe zu ersetzen, oder sollte ich mir auch noch eine Maske abstreifen, um auch die letzte Haut zu entfernen), verwarf ich den Plan bald. Dummerweise fällt mir jetzt eine gute Pointe ein: Schön wäre es gewesen, unter all diesen Kleidungsschichten, unter all dieser Vermummung einfach nur ein überdimensioniertes VW-Logo auf meiner Brust zu haben, einfach nur einen zugeworbenen Körper zu haben. Aber diese Pointe kam nun sowieso zu spät.
Als nächstes plante ich keinen Text zu lesen, sondern eine Rezension meiner Lesung zum besten zu geben und just in den Momenten, das zu zeigen, was in der Lesung kritisiert wurde (kein Kontakt zum Publikum, schaut immer nur nach unten, nuschelt, etc.). Im Anschluss daran hätte ich noch einen Kontrasttext gelesen, in dem jemand über den arroganten Schnösel und dessen ichverliebte Nightclubbing-Geschichten schreibt und natürlich hätte ich mich auch dementsprechend verhalten. Aber da ich keine Zeit und keine Fantasie hatte diese Texte noch zu schreiben, verlor sich dieser Gedanke schnell.
Als einfachere Variante zu diesem Eigene-Texte-Schreiben hatte ich geplant, die Struktur der Blogs in Leseform zu verdeutlichen. Das Konzept nenne ich “Linkhopping” oder in der Lesung hätte ich es, um mich darüber lustig zu machen, “Linkfollowing” genannt. Man steigt bei irgendeinem Blogeintrag eines Schreibers ein und liest ihn bis der erste Link kommt. Diesem Link folgt man sogleich und liest diesen Text wiederum bis zum ersten Link. Und so weiter und so fort. Allerdings fand ich in den zehn Minuten, die ich mir für die Recherche Zeit nahm, keine ordentlich langen Linkketten, immer wieder verrannte ich mich in PDFs oder auf Firmenseiten. Heute modifizierte ich es ein wenig und fand immerhin einmal eine etwas längere Kette. Nachdem ich anfangs in diesem Spiel Wikipedia als Selbstreferentialitäts-Sackgasse noch verteufelt hatte, erkannte ich, dass gerade Wikipedia hier die besten Chancen bietet, problemlos voran zu kommen. Allerdings muss man sich die Regeln des Spiels vorher gut überlegen: Wichtig ist, dass man bei Wikipedia nicht den Spracherläuterungen (griechisch, latein) folgt (dies passiert sehr leicht, wenn man immer das erste Wort nimmt). Eine variable Regel ist hier angemessener. Ich habe es einmal mit dem dritten Wort durchprobiert und einmal mit bis zehn ansteigenden und dann wieder zurückgehenden Zahlen. Als Ergebnis präsentiere ich nun nur die Wortfolge, die sich durch konsequentes Wikipedia-Linkhopping vom Ausgangswort Sex ergeben hat.
Regel: Dem ersten Wort folgen (auch Sprachangaben):
Sex – Latein – Sprache – Mensch – Säugetiere – Klasse (Biologie) – Systematik (Biologie) – Griechische Sprache – Neugriechische Sprache – Griechen – Indogermanen – Muttersprache – Unterricht – Lehrveranstaltung – Arbeitsgemeinschaft – Arbeitsweise – Methodik – Adjektiv – Deutsche Sprache – Germanische Sprachen – Indogermanische Sprachen – Sprachfamilie – Genetische Verwandtschaft (Linguistik) – Sprachwissenschaft – Semiotik
(Man kommt mit dieser Regel, wie man erkennen kann, aus der sprachwissenschaftlichen Schiene nicht mehr heraus.)
Regel: Dem dritten Wort folgen (auch Sprachangaben):
Sex – Geschlechtsverkehr – Penis – Skrotum – Hoden – Indogermanische Ursprache – Lautwandel – Phonologie – Sprachwissenschaft – Strukturwissenschaft – Methode – Methodik – Wissenschaft – Erkenntnis – Einsicht – Wolfgang Köhler (Psychologe) – Tallinn – Finnischer Meerbusen – Brackwasser – Süßwasser – Wasser – Sauerstoff – Periodensystem – Periode des Periodensystems – Gruppe des Periodensystems – Chemisches Element
(Diese Regel ist, wie man sieht, weitaus ergiebiger. Besonders stolz bin ich auf den Sprung von “Erkenntnis” über nur fünf Links zu “Brackwasser”. Aber man erkennt auch hier, wenn man sich einmal in einer Sackgasse verrannt hat (hier Chemie), kommt man nur schwer wieder heraus.)
Regel: Ansteigend bis 10, dann wieder absteigend (ohne Sprachangaben):
Sex – Sexualität – Geschlecht – Genetisches Geschlecht – Diploidie – Gonosom – X-Chromosom – Frau – Weib – Deutschenspiegel – Schwabenspiegel – Sachsenspiegel – Gesicht – Mimische Muskulatur – Augenmuskeln – Glatte Muskulatur – Blutgefäß – Herz – Durchblutung – Organ (Biologie) – Zelle (Biologie)
(Diese Regel wirkt hier erstaunlich sinnkonstant.)
Hoffentlich werden im Linkhopping bald Weltmeisterschaften ausgetragen, hoffentlich gibt es bald Menschen, die versuchen, den perfekten Algorithmus zu finden und Philosophen, die versuchen, diese Wortketten zu entschlüsseln. Vielleicht hätte ich ja durch einen geschickten Auftritt und durch eine geschickt platzierte Wortkette auf meinem Körper diese wunderbare Spiel schon gestern bewerben können. “Doch dazu fehlte ihm leider der Mumm.”
Hinterlasse einen Kommentar